Mittwoch, 12. Dezember 2007

Volker Braun, DIE MAUER, Teil 1

Zwischen den seltsamen Städten, die den gleichen
Namen haben, zwischen vielem Beton
Eisen Draht Rauch, den Schüssen
Der Motore : in des seltsames Lands
Wundermal steht aus all dem
Ein Bau, zwischen den Wundern auffallend
Im erstaunlichen Land
Ausland. Gewöhnt
An hängende Brücken und Stahltürme
Und was noch an die Grenze geht
Von Material und Maschinen, faßt
Der Blick doch nicht
Das hier.

Zwischen all den Rätseln : das ist
Fast ihre Lösung. Schrecklich
Hält sie, steinerne Grenze
Auf was keine GrenzeKennt :
den Krieg. Und sie hält
Im friedlichen Land, denn es muß stark sein
Nicht arm, die abhaun zu den Wölfen
Die Lämmer. Vor den Kopf stößt sie
Das gehn soll wohin es will, nicht
In die Massengräber, das
Volk der Denker.

Aber das mich so hält, das halbe
Land, das sich geändert hat mit mir, jetzt
Ist es sichrer, aber
Ändre ichs noch ? Von dem Panzer
Gedeckt, freut sichs
Seiner Ruhe, fast ruhig ? Schwer
Aus den Gewehren fallen die Schüsse:
Auf die, die es anders besser
Halten könnte.
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

Interimsjob 1


Interimsjobs 2


Interimsjobs 3


unerwarteter Durchblick 1


unerwarteter Durchblick 2


unerwarteter Durchblick 3


Rückseite künftiges Finanzministerium


Mauerspecht


"Wahnsinn" MauerTEILE


"Wahnsinn"


"Wahnsinn"


Montag, 3. Dezember 2007

hier residierte das ZK der SED


Im April 1990 weht auf dem Dach noch die DDR-Fahne, aber das Partei-Enblem mit den sich fassenden beiden Händen (nicht freiwillig taten sie das 1946) ist schon abgenommen.

Haus gegenüber dem Reichstag,...


... dazwischen die Mauer ... Dieser Hinweis erschien nötig ...

wieder einmal wird deutsche Geschichte ...


... neu geschrieben; am selben Ort.

Die Bauernkriegsfahne weht nicht mehr für marxistische Geschichtsdeutung.

Der West-Test 1.bmp


der West-test 2.bmp


der West-Test 3


Sonntag, 25. November 2007

der West-Test 4.


der West-Test 5.


der West-Test.6


BERLIN POTSDAMER PLATZ 1990

Die Karnickel waren zuerst weg. Dann lange nichts grundlegend Neues auf dem ehemaligen Potsdamer Platz außer den Mauerspechten, die mit Hammer und Meißel Teile des sozialistischen Schutzwalls herausschlugen und verkauften oder die Werkzeuge verliehen zum do it yourself. Auch der Kiosk, dem bald die Mauer fehlte, blieb noch eine Weile. Ebenso der unscheinbare Hügel in Niemandsland des einstigen Innersten der Stadt, unter ihm die Reichstagsruinenreste Germanias, sofern sie nicht in sowjetischen Siegesdenkmälern verbaut waren.
Auf der Treppe hinunter zu einem noch zugemauerten Bahnhof Abfall von 1961.
Einer Amerikanerin aus Texas sollte ich das erklären. Ich tat mein Bestes. Es war wenig genug. An allzu viel Geschichte war sie nicht interessiert.
"Thank you, dear, it is so lovely, all that. Now you are really free, aren't you? You remember airlift? It is freedom which the US bring to all people. God bless America. In Him we Trust."

U.B.

Potsdamer Platz 1990


BERLIN FRIEDRICHSTRASSE

Bist Nahtstelle von ßwee Welten jewesen,
det is bekannt;
Knotenpunkt. Nadelöhr.

Eene vielfarbije Menschheit
haste ausjespuckt aus de S-Bahn.
Die is ranjekollert
uff ausjemerjelte Jleise
in den Bahnhof mit seine undurchsichtije
doppelte Staatlichkeit.

Da wurd se uff Lienje jebracht,
diese Menschheit,
hat sich schnell jefädelt
oder langsam
durchs Öhr.
Det hing ab von de Laune von de Jrenzer.
Nur freundlich, det durften die nich sind.
Det war per Dienstanweisung vaboten.

Rückwärts detselbe.
Det kollektive Warten
hat Jespräche erjeben.
Redend, wa, stand et sich leichta.
Wo det stattfand,
det heeßt heute TRÄNENPALAST
und is eene Disco.
Ick hab da jeheult.

Der Eintritt in den real existierenden
So-ßi-a-lismus,
der kostete 30 Märker.
Die dauernde Ausreise aus
den real existierenden
So-ßi-a-lismus,
die war schwerer zu ham.
Manch eener hat Jahre jesessn
in Knast dafür.
Denn hat sich uffjelöst
der So-ßi-a-lismus,
war janz marode jewesn.

Nu is der Bahnhof pieke.
Die ßweierlei Staatlichkeit,
die is jebliebn.
Det Beitrittsjebiet interessiert den Westen nich wirklich.

U.B.

Bahnhof Friedrichstraße später


4 x Alexanderplatz unten 1990





Freitag, 23. November 2007

nun gibt's Konsum ...


am Kupfergraben wo Hegel wohnte und die Frau Kanzlerin wohnt


... auch Kultur


verflossen die Hymne

1Auferstanden aus Ruinen
Und der Zukunft zugewandt,Laß uns dir zum Guten dienen,Deutschland, einig Vaterland.Alte Not gilt es zu zwingen,Und wir zwingen sie vereint,Denn es muß uns doch gelingen,Daß die Sonne schön wie nie: Über Deutschland scheint. :
2Glück und Frieden sei beschieden
Deutschland, unserm Vaterland.Alle Welt sehnt sich nach Frieden,Reicht den Völkern eure Hand.Wenn wir brüderlich uns einen,Schlagen wir des Volkes Feind!Laßt das Licht des Friedens scheinen,Daß nie eine Mutter mehr: Ihren Sohn beweint. :
3Laßt uns pflügen, laßt uns bauen,
Lernt und schafft wie nie zuvor,Und der eignen Kraft vertrauend,Steigt ein frei Geschlecht empor.Deutsche Jugend, bestes Streben,Unsres Volks in dir vereint,Wirst du Deutschlands neues Leben,Und die Sonne schön wie nie: Über Deutschland scheint. :
Von „http://de.wikisource.org/wiki/Auferstanden_aus_Ruinen

Text: Johannes R. Becher
Vertonung: Hanns Eisler

Diese Hymne wurde seit .... nicht mehr gesungen, sondern nur noch gespielt - weil das ja mit Deutschland nicht so recht was war.
Die Nationalhymnen Ost und West ließen/lassen sich auf dieselbe Melodie singen.

mit der neuen Zeit das war nichts so rechtes


... und gewesene HO-Läden


...und Straßenschilder West


... und Straßenschilder Ost


... und das Ampelmännchen Ost


... und die geschlossene Glienicker Brücke


... und russische Bücher


Donnerstag, 22. November 2007

Bündnis 90 ...


...von diesen geschluckt


BERLIN. ALEXANDERPLATZ

16.März. Gysi spricht. Ich habe ihn - umringt von Fotografen - durch die Menge kommen sehen. Er ist viel kleiner, als ich dachte, seine Mütze hilft nicht. Was macht ihn so sympathisch? Es muß sein Mut sein, welcher intelligente Mensch läßt sich ein derart bankrottes Erbe aufbürden? Sie warten hier auf ihn, die Menge wird von Minute zu Minute größer. Die Leute sind jung, haben Fahnen bei sich, sie bevölkern den Platz, so weit man sehen kann. Der kleine Mann wird auf einen Lastwagen gehievt, ich sehe seine blitzenden dunklen Augen hinter seiner kleinen Brille. "Und doch wird dieser schlaue Judenjunge es nicht schaffen", hörte ich in West-Berlin jemanden sagen. Das war in seiner Anfangszeit, aber mir gefiel er damals schon. Schade, daß er gerade zu dieser Partei gehört, das schon. [...]
aus: Cees Nooteboom, Berliner Notizen, es 1639, 1991, S. 236

Gysi - gar nicht versunken


Modrow - versunken


den gab's nicht


Kohl kam übers Land


18. MÄRZ 1990

Zwei Tage später sind die Karten neu gemischt. Die CDU ist über das Land hinweggerollt, die Sozialisten Ibrahim Böhmes haben nur die Hälfte der erhofften 44% erreicht, sein Blick ist traurig. Gegen Mitternacht gehe ich noch einmal nach Ost-Berlin. Am Checkpoint Charlie ist es ruhig. Was ich dort erwartet habe, weiß ich nicht, aber es ist nicht da. Im ehemaligen Gebäude des Zentralkomitees ist eine Art Party, draußen auf den großen Plätzen sieht man noch kleine Grüppchen, am Palast der Republik packen die Fernsehgesellschaften aus dem Westen ihre Sachen ein. [...] Auf dem Rückweg gehe ich über die Friedrichstraße, aus einem Haus dringt noch Lärm. Ich mache die Tür auf und bin bei den Helden der ersten Stunde, den kleinen Parteien der großen Demonstrationen, den Vorläufern, die von den Wählern im Stich gelassen wurden.
aus: Cees Nooteboom, Berliner Notizen, es 1639, 1991, S. 238

rot oder tot


tot oder rot


Stütze


Aufschwung Ost


Sonntag, 11. November 2007

sie hatten schon zugeschlagen...


Unter den Linden 1990


WENDEZEIT: Cees Nooteboom, BERLINER NOTIZEN

WIE SIEHT EIN FISCH DEN FLUSS, IN DEM ER SCHWIMMT?
1963, in dem Jahr, als die Mauer errichtet wurde, hielt sich der niederländische Schriftsteller Cees Nooteboonm in Berlin auf. 1989, als sich der Ei­serne Vorhang öffnete, befand sich der Autor wie­der in der geteilten Stadt. Eingeladen vom Deut­schen Akademischen Austauschdienst, verfaßte er dort seine Berliner Notizen. Wer von Nooteboom ein journalistisches Ta­gebuch erwartet, wie es der Germanophob Robert Darnton mit seinem Berliner Tagebuch 1989-1990 vorgelegt hat, sieht sich schnell enttäuscht. Darn­tons Angst vor Deutschland und den Deutschen prägt zwar auch die Perspektive Nootebooms, auch er spricht über die Menschen in Deutschland, die viel stärker als die anderen sind, über das schwierige Vaterland und den schwierigen Nach­barn, über Helmut Kohl als ein riesiges Beuteltier, in das die DDR mit Haut und Haaren leicht hin­-einpáßt,-sogar-der-Wunsch deutscher Studenten, Niederländisch zu lernen, wird als ein 'Komplex' präsentiert. Aber die Angst in den Notizen Noote­boonis ist nicht allein die persönliche Angst des Autors vor der deutschen Gewalt, vor den Schrit­ten und der Sprache, die er aus dem Krieg kennt. Es ist auch nicht an erster Stelle die Angst vor dem barschen Ton des Grenzbeamten an der ein­stigen Zonengrenze oder die Furcht vor dem Frust, den die ganze deutsche Nation auf den Au­tobahnen in einem allesfressenden Geschwindig­keitsrausch abzureagieren scheint, "(...) als wäre dieses Volk permanent wütend". Nooteboom sucht eher nach Worten für die Ursachen der Angst, die zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung in ganz Eu­ropa, nicht zuletzt auch in Deutschland, spürbar war. Der Autor läßt dabei keine Zweifel, es ist die Angst der Erinnerung und die Angst, die bereits bei der blutigen Unterdrückung der Revolution vor der Weimarer Republik das Motiv war, näm­lich die Angst vor dem Chaos, das dadurch ent­steht, weil ein anderer seinen Platz in der Ordnung verlassen will und man nun fürchtet, seinen eige­nen Platz nicht mehr zu finden. Am Ende überläßt man dann den Sieg denjenigen, die die Macht ha­ben, Damals wie heute.
Bezeichnend für die Berliner Notizen, wie auch für die anderen Reisebücher von Cees Nooteboom, ist die lyrische Distanz. Obwohl er in einer brisanten, historischen Zeit lebt und darüber berichtet, spricht aus seinem Werk keineswegs selbstverlieb­ter Stolz. Auch in seinen Berliner Notizen ist Noo­teboom weniger Journalist als Schriftsteller. An­statt sich der Aktualität zuzuwenden, schlüpft er lieber in die dritte Person und geht auf die Suche nach den Spuren der deutschen Geschichte. Das Tagesgeschehen bleibt, mit Ausnahme von den bekannten Figuren aus der Politik und den vielen Schriftstellern, denen er sich in diesen Notizen widmet, auffallend anonym, und Cees Nooteboom enthält sich bis auf wenige Ausnahmen weitgehend der persönlichen Stellungnahme. Wie Harry Mu­lisch, der in seinem Attentat die Zukunft mit einem Schiffer vergleicht, der sein Schiff mit einer Stange vorwärtsschieht, indem er nach hinten läuft, zeigt Cees Nooteboom sich davon überzeugt, daß ein gutes Stück der Zukunft in der Erschließung, der Erkundung der Vergangenheit liegt. Wie soll ein Fisch den Fluß auch sehen, in dem er schwimmt? "Während die neue Geschichte im Kochtopf schmort oder sogar anbrennt", sucht Nooteboom die "Reliquien der alten". Deshalb besucht er Weimar, das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald, die Walhalla bei Regensburg, den Reichsparteitag in Nürnberg, nicht immer die schönsten Denkmäler, und kreist sie ein, wie nach Meinung Nootebooms seinerzeit Gorbatschow die DDR; Nooteboom sagt es mit einem Goethe-Zi­tat: - 1)em Geier gleich - Der auf schweren Mor­genwolken - Mit sanftem Fittich ruhend - Nach Beute schaut, - Schwebe mein Lied.
Die Berliner Notizen sind trotz bewegter Zeit Noti­zen aus der trügerischen Stille in der Mitte des Sturms. Auch wenn Nooteboom unterstellt, daß die Niederländer sich sowieso nicht aufregen, sel­ten die ideologischen Bocksprünge ihres Gegners mitmachen und vielmehr geneigt sind, in aller Ruhe etwas über freie Wahlen und Demokratie zu sagen; dies ist wohl eher die Folge der bewußten Entscheidung, der Zeit der deutschen Wie­dervereinigung, der Angst der Europäer und der Deutschen vor der (Seibst)Annexion ohne Über­heblichkeit - "Autoren als Vordenker und Wegbereiter des revolutionären Aufbruchs (...) Ist das wahr?" - als Schriftsteller zu begegnen.
Nooteboom ist sich selber treu geblieben. Ebenso wie sein übriges Werk sind seine lyrischen Notizen aus den 90er Jahren Übungen in der Semantik. Wie mit einer Stimmgabel schlägt er die Worte an und lauscht dem Klang aus der Vergangenheit. Dennoch täuscht er nicht darüber hinweg - dazu tragen nicht zuletzt auch die faszinierenden Bilder von Simone Sassen bei -, daß die Mauer nicht nur ein Klischee war, sondern auch noch eines aus Stein, und daß die deutsche Zukunft, von der man wegen ihrer Vergangenheit immer wieder Großes erwartet, wieder einmal an einem seidenen Faden hing.

Cees Nooteboom: Berliner Notizen. Mit Fotos von Simone Sassen. Aus dem Niederländischen von R. Still. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1991, DM 20,00, 334S.
Herbert Van Uffelen (Rezensent)

UNBEDINGT LESEN!!

Nachwendezeit


SCHEUNENVIERTEL ANFANG DES 21. Jh.s

Das Jüdische Museum in Berlin - trutzig nach außen, selbstbewusst nach innen - symbolisiert den neuen deutschen Umgang mit der verdrängten Vergangenheit. Die glanzvolle Eröffnung stellte die Jüdische Gemeinde wieder in die Mitte der Gesellschaft. Aus Opfern wurden Zeitzeugen. Der Umgang mit der jüdischen Geschichte gilt als Ausweis für die neue Mündigkeit der Berliner Republik. Und mit dem ersten Spatenstich für das Holocaust-Denkmal am Brandenburger Tor wurde zwei Jahre nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages die Mahnmaldebatte abgeschlossen. Das "Mahnmal für die ermordeten Juden Europas" als ein Bekenntnis zur historischen Verantwortung, so Wolfgang Thierse. Doch der Alltag der Jüdischen Gemeinden wird nicht von glänzenden Fassaden kunstvoll restaurierter Synagogen bestimmt. Die Synagoge in der Oranienburger Straße hat wenig gemein mit dem Berliner Scheunenviertel von einst, das Juden und anderen Zuwanderern aus Osteuropa am Rande der Stadt damals Zuflucht bot. Auf engstem Raum war vor dem Krieg ein Milieu-Viertel entstanden, in dem Menschen aus den unterschiedlichsten Schichten und Kulturen zusammenlebten. Kein Ghetto, sondern ein Kiez. Seit 1989 prägt eine neue Zuwanderung das jüdische Leben in Berlin. Juden aus der ehemaligen Sowjetunion kamen nach Deutschland. Menschen, die ihre Religion nur als Repression erfahren hatten und nun um Hilfe baten, bei den Sozialeinrichtungen der Jüdischen Gemeinde. Rabbiner Walter Rothschild, der aus England nach Berlin kam, betreute die Zuwanderer vier Jahre lang. Vor der Wende habe es ungefähr 6.000 Mitglieder ungefähr in der Westberliner und etwa 1.000 in der Ostberliner Gemeinde gegeben, schätzt er. "Jetzt haben wir 12.000. 12.000 plus." Dazu kämen noch 1.000 Mitglieder in "Adass Jisroel" und schätzungsweise ein paar tausend, die nicht angemeldet sind.
Russisch ist die Hauptsprache
Vor allem die orthodoxe Gemeinde "Adass Jisroel" wurde zu einem neuen Jüdischen Zentrum in Ost-Berlin. Im Scheunenviertel siedelten sich jüdische Geschäfte an und solche, die von der neuen Aufmerksamkeit profitieren wollten. 1988 entstand das erste jüdische Gymnasium Deutschlands. 262 Schüler gehen hier zur Schule. Ein Drittel aller Plätze sind Nicht-Juden vorbehalten. Zwei Drittel der jüdischen Schüler kommen aus der ehemaligen UdSSR. Auf dem Lehrplan stehen deshalb zusätzlicher Hebräisch-Unterricht und die Auseinandersetzung mit dem Judentum. Zwar gebe es, so Direktorin Raissa Kruk, einige Leute, die meinten, das Russische sei sehr ausgeprägt an der Schule. "Aber das kann auch nicht anders gehen, wenn hier über siebzig Prozent der Menschen in unserer Gemeinde aus dem Zuwandererkreis stammen und entsprechend auch die Kinder." 88.000 Mitglieder zählen die Jüdischen Gemeinden in Deutschland heute. 70.000 davon kamen aus der zerfallenen Sowjetunion. Diese Verlagerung von Mehrheiten spiegelt sich auch in der Zusammensetzung des Gemeindevorstands in Berlin. Mit der Wahl des 71-jährigen konservativen Alexander Brenner zum neuen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde im Frühjahr setzten die russischen Neuzuwanderer ein deutliches Zeichen. Brenner räumt ein, dass es Probleme bei der Integration der Flüchtlinge gebe, die ohne Kenntnisse der deutschen Sprache hierher kämen. Zwar sei auch ein Großteil der Juden, die nach 1945 hierher kamen, Flüchtlinge gewesen, doch inzwischen sei schon eine neue Generation herangewachsen. Auch Shelly Kupferberg bestätigt, dass in den letzten Jahren Russisch die Hauptsprache in der Jüdischen Gemeinde Berlin geworden ist: "Als Nichtrussisch sprechender Mensch kann ich aus Erfahrung sagen, dass einem das manchmal fast ein bisschen auf die Nerven geht - dass man sich ausgeschlossen fühlt." Das sind ungewohnte Töne aus einer Jüdischen Gemeinde, deren Spektrum immer vielfältiger wird. Shelly ist in Israel geboren, lebt jedoch seit ihren Kindertagen in Berlin. Und auch wenn sich die Gemeinde verändert hat, das Judentum bestimmt nach wie vor die kulturelle Identität der jungen Journalistin.
Jüdisch-Sein ist hip
Im Cafe Burger geht es hoch her: Einmal im Monat lädt der bekannteste Zuwanderer von Berlin zur "Russendisko". Wladimir Kaminer ist der berühmteste Russe von Berlin - der berühmteste Jude ist er nicht. Und doch steht er mit seinen Kurzgeschichten und Veranstaltungen für eine neue Strömung jüdischer Emigranten aus dem Osten. "Ich bin ein deutscher Schriftsteller", sagt er, "werde aber oft als russischer Schriftsteller angekündigt und auch oft werde ich zu verschiedenen jüdischen Gemeinden eingeladen, um dort eine Lesung zu veranstalten." Doch Wladimir Kaminer hat sich vom Judentum entfernt. Seine Heimat ist der säkulare Kiez am Prenzlauer Berg, weit ab von der Touristen-Attraktion Jüdische Gemeinde. "Noch ist Jüdisch-Sein sehr hip", meint Shelly Kupferberg. "Die Nichtjuden möchten gerne die Klischees, also Jiddisch und Klezmer und Bagels." Doch sie glaubt auch, dass sich das ändern wird: "Ich mache mir darüber häufiger Gedanken, was passiert, wenn die Überlebenden auf beiden Seiten des Holocausts, des Zweiten Weltkrieges, nicht mehr leben werden, was mit der Erinnerung passiert, was mit dem Umgang mit Juden hier in Deutschland passiert. - Ich weiß nicht, ob es dann noch so hip sein wird". Doch im Moment sieht sie einen "Riesenzulauf", zum Beispiel bei den Jüdischen Kulturtagen, und auch das Bestreben der Jüdischen Gemeinde, etwas nach außen zu geben. Solange aber jüdische Kultur rückwärts gewandt und von Stereotypen geprägt wahrgenommen wird, solange jüdische Geschichte stets verbunden mit dem christlichen Antisemitismus ausgestellt wird, solange bleibt ein Zugang zum wirklichen Leben von Juden in Deutschland verwehrt.

09.11.2001 Kulturzeit 3sat

jüdisches Geschäft im Scheunenviertel 1