Sonntag, 11. November 2007

WENDEZEIT: Cees Nooteboom, BERLINER NOTIZEN

WIE SIEHT EIN FISCH DEN FLUSS, IN DEM ER SCHWIMMT?
1963, in dem Jahr, als die Mauer errichtet wurde, hielt sich der niederländische Schriftsteller Cees Nooteboonm in Berlin auf. 1989, als sich der Ei­serne Vorhang öffnete, befand sich der Autor wie­der in der geteilten Stadt. Eingeladen vom Deut­schen Akademischen Austauschdienst, verfaßte er dort seine Berliner Notizen. Wer von Nooteboom ein journalistisches Ta­gebuch erwartet, wie es der Germanophob Robert Darnton mit seinem Berliner Tagebuch 1989-1990 vorgelegt hat, sieht sich schnell enttäuscht. Darn­tons Angst vor Deutschland und den Deutschen prägt zwar auch die Perspektive Nootebooms, auch er spricht über die Menschen in Deutschland, die viel stärker als die anderen sind, über das schwierige Vaterland und den schwierigen Nach­barn, über Helmut Kohl als ein riesiges Beuteltier, in das die DDR mit Haut und Haaren leicht hin­-einpáßt,-sogar-der-Wunsch deutscher Studenten, Niederländisch zu lernen, wird als ein 'Komplex' präsentiert. Aber die Angst in den Notizen Noote­boonis ist nicht allein die persönliche Angst des Autors vor der deutschen Gewalt, vor den Schrit­ten und der Sprache, die er aus dem Krieg kennt. Es ist auch nicht an erster Stelle die Angst vor dem barschen Ton des Grenzbeamten an der ein­stigen Zonengrenze oder die Furcht vor dem Frust, den die ganze deutsche Nation auf den Au­tobahnen in einem allesfressenden Geschwindig­keitsrausch abzureagieren scheint, "(...) als wäre dieses Volk permanent wütend". Nooteboom sucht eher nach Worten für die Ursachen der Angst, die zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung in ganz Eu­ropa, nicht zuletzt auch in Deutschland, spürbar war. Der Autor läßt dabei keine Zweifel, es ist die Angst der Erinnerung und die Angst, die bereits bei der blutigen Unterdrückung der Revolution vor der Weimarer Republik das Motiv war, näm­lich die Angst vor dem Chaos, das dadurch ent­steht, weil ein anderer seinen Platz in der Ordnung verlassen will und man nun fürchtet, seinen eige­nen Platz nicht mehr zu finden. Am Ende überläßt man dann den Sieg denjenigen, die die Macht ha­ben, Damals wie heute.
Bezeichnend für die Berliner Notizen, wie auch für die anderen Reisebücher von Cees Nooteboom, ist die lyrische Distanz. Obwohl er in einer brisanten, historischen Zeit lebt und darüber berichtet, spricht aus seinem Werk keineswegs selbstverlieb­ter Stolz. Auch in seinen Berliner Notizen ist Noo­teboom weniger Journalist als Schriftsteller. An­statt sich der Aktualität zuzuwenden, schlüpft er lieber in die dritte Person und geht auf die Suche nach den Spuren der deutschen Geschichte. Das Tagesgeschehen bleibt, mit Ausnahme von den bekannten Figuren aus der Politik und den vielen Schriftstellern, denen er sich in diesen Notizen widmet, auffallend anonym, und Cees Nooteboom enthält sich bis auf wenige Ausnahmen weitgehend der persönlichen Stellungnahme. Wie Harry Mu­lisch, der in seinem Attentat die Zukunft mit einem Schiffer vergleicht, der sein Schiff mit einer Stange vorwärtsschieht, indem er nach hinten läuft, zeigt Cees Nooteboom sich davon überzeugt, daß ein gutes Stück der Zukunft in der Erschließung, der Erkundung der Vergangenheit liegt. Wie soll ein Fisch den Fluß auch sehen, in dem er schwimmt? "Während die neue Geschichte im Kochtopf schmort oder sogar anbrennt", sucht Nooteboom die "Reliquien der alten". Deshalb besucht er Weimar, das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald, die Walhalla bei Regensburg, den Reichsparteitag in Nürnberg, nicht immer die schönsten Denkmäler, und kreist sie ein, wie nach Meinung Nootebooms seinerzeit Gorbatschow die DDR; Nooteboom sagt es mit einem Goethe-Zi­tat: - 1)em Geier gleich - Der auf schweren Mor­genwolken - Mit sanftem Fittich ruhend - Nach Beute schaut, - Schwebe mein Lied.
Die Berliner Notizen sind trotz bewegter Zeit Noti­zen aus der trügerischen Stille in der Mitte des Sturms. Auch wenn Nooteboom unterstellt, daß die Niederländer sich sowieso nicht aufregen, sel­ten die ideologischen Bocksprünge ihres Gegners mitmachen und vielmehr geneigt sind, in aller Ruhe etwas über freie Wahlen und Demokratie zu sagen; dies ist wohl eher die Folge der bewußten Entscheidung, der Zeit der deutschen Wie­dervereinigung, der Angst der Europäer und der Deutschen vor der (Seibst)Annexion ohne Über­heblichkeit - "Autoren als Vordenker und Wegbereiter des revolutionären Aufbruchs (...) Ist das wahr?" - als Schriftsteller zu begegnen.
Nooteboom ist sich selber treu geblieben. Ebenso wie sein übriges Werk sind seine lyrischen Notizen aus den 90er Jahren Übungen in der Semantik. Wie mit einer Stimmgabel schlägt er die Worte an und lauscht dem Klang aus der Vergangenheit. Dennoch täuscht er nicht darüber hinweg - dazu tragen nicht zuletzt auch die faszinierenden Bilder von Simone Sassen bei -, daß die Mauer nicht nur ein Klischee war, sondern auch noch eines aus Stein, und daß die deutsche Zukunft, von der man wegen ihrer Vergangenheit immer wieder Großes erwartet, wieder einmal an einem seidenen Faden hing.

Cees Nooteboom: Berliner Notizen. Mit Fotos von Simone Sassen. Aus dem Niederländischen von R. Still. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1991, DM 20,00, 334S.
Herbert Van Uffelen (Rezensent)

UNBEDINGT LESEN!!

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